Barntrup (jn). „Es geht ans Eingemachte“. Oder: „Wer wird nach diesem Lockdown überhaupt wieder aufmachen?“ In der Essenz sieht so die existenziell bedrohliche Lage vieler Einzelhändler und Unternehmer in Barntrup und in den anderen Kommunen in Nordlippe aus.

In Barntrup haben jetzt viele – mit Unterstützung des Marketingvereins – versucht, die Bürger auf ihre Lage aufmerksam zu machen und haben sich dazu an der Aktion „Wir machen auf_MERKSAM“ beteiligt. Was von einigen als irreguläre Öffnung der Läden fehlgedeutet wurde, ist tatsächlich der Hilferuf der lokalen Wirtschaft.

Die kleinen Händler und Unternehmer stehen den Schließungen im Lockdown alternativlos entgegen, nur ein Bruchteil – wie die Gastronomen – kann oder darf weiter Einnahmen generieren. Dies sei besonders schwer zu ertragen, sagen Betroffene aus Barntrup, weil die Ungleichbehandlung der unterschiedlichen Wirtschaftsbereiche jetzt so offenbar werde. Die einen bekämen Anspruch auf Ausgleichszahlungen, viele andere aber stünden jetzt, im zweiten Lockdown, endgültig am Rande ihrer Existenz und fielen durch alle Unterstützungs-Raster.

Wie sehr sich in der Corona-Zeit eine Wettbewerbsverzerrung im lokalen Wirtschaftsbereich entwickelt hat, zeigt sich beim Blick auf die frischesten Wirtschaftsdaten zur Entwicklung des Einzelhandels in NRW für November, vom Land just vor wenigen Tagen veröffentlicht: „Die NRW-Einzelhändler steigerten ihre Umsätze im November 2020 um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr“ steht da trocken. Doch wer hat das Plus gemacht? Nur wenige, wie der detailliertere Blick verrät: Händler von Fahrrädern (+47,8 %), Spielwaren (+34,4 %) und überdurchschnittlich auch der Versand- und Internet-Einzelhandel (+31,2 Prozent). Wo gab es die höchsten Einbußen? Beim Einzelhandel an Verkaufsständen und auf Märkten (−19,3 %) und im Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung und Schuhen (−17,4 %). Und genau diese Gruppe ist mit Mehrheit in den Einkaufsstraßen der Großstädte und in den Zentren unserer ländlichen Kommunen vertreten. Sie machen Ortskerne lebendig, sie sind für uns vor Ort mit ihrem Service da und – sie hatten es auch schon vor Corona sehr schwer, gegen den Online-Handel anzukommen.

Was wird passieren, wenn der Lockdown – wie hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wird – scheibchenweise bis Ostern verlängert würde? Es droht eine Flut an Insolvenzen, die nicht nur unsere Ortszentren veröden lassen, sondern auch dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben eine massiven Dämpfer verpassen würde. Besonders daran erinnert Barntrups Marketingverein: Wenn die Einzelhändler und Unternehmer vor Ort schließen, dann gibt es auch keine Mitglieder mehr, die Jahreshighlights umsetzen (und finanzieren) können. „Ohne unsere Händler und Dienstleister wird es noch mehr Leerstand geben, werden Stadt- und Fischfest nicht mehr das sein, was sie mal waren und die Lebensqualität in unserer kleinen Stadt nimmt ab, “ heißt es in der Stellungnahme des Vorstandes. „Daran sollte wir alle denken und entsprechend solidarisch in der Not handeln.“

Das Logo zur Aktion. Foto: privat

Es sind die Einzelschicksale, die verdeutlichen, wie prekär die Lage gerade ist. Zum Beispiel der Mode-Einzelhandel. Michaela Heinze führt mit Claudia Brockmann das traditionsreiche Schuhhaus Bürger am Barntruper Markt. Die beiden versuchen alles, um ihre Kunden per Lieferservice oder vor-der-Tür-Verkauf zu erreichen, doch: „Schuhe und besonders beratungsintensive Kinderschuhe bei DEM Wetter vor der Tür anprobieren, wer möchte das?“ Sie hätten sich an der Aktion „Wir machen auf_MERKSAM“ beteiligt, um „ein Zeichen zu setzen“, so die Unternehmerinnen. Gerichtet an die Barntruper Bürger: „Bitte kauft weniger online! Und vergesst uns nicht, wenn wir wieder öffnen dürfen.“
Auch sie fühlen sich im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen ungleich behandelt: „Wir dürfen mit unseren 200 qm nicht einmal für zwei Kunden öffnen, aber im großen Supermarkt stehen die Kunden sich auf den, immer größer werdenen, Verkaufsflächen für Kleidung und Schuhe auf den Füßen herum“, beschreibt Michaela Heinze knapp, was Mode- und Schuhhändler gerade mit ansehen müssen. Mehr noch: Die Lieferung der Frühjahrsware steht für die kommenden Wochen an – und sollte der Lockdown auf den März verlängert werden, fiele für sie der umsatzstärkste Monat des gesamten Jahres weg.

Auf andere Weise schwierig gestaltet es sich bei Unternehmern wie Otto Piesk, Fahrschuleigentümer mit Niederlassungen in Steinheim und Barntrup. Der Selbecker muss im grenznahen Bereich zu Niedersachsen gerade schmerzhaft erleben, wie die unterschiedliche Corona-Politik der Länder auch innerhalb der gleichen Branche den Wettbewerb verzerrt – und Existenzen in Frage stellt. Denn: In NRW dürfen Fahrschulen nur wenige Fahrschüler in der Praxis weiterbetreuen. Die Theorie läuft schon länger digital – doch weiterfahren darf gerade nur, wer schon vor Beginn des zweiten Lockdowns mehr als die Hälfte der gesetzlich vorgeschriebenen Sonderfahrten (12 Überland-, Nacht- und Autobahnfahrten) absolviert hatte.

Zu sechst hat sein Fahrschul-Team in normalen Zeiten die Fahrschüler betreut – jetzt arbeitet Otto Piesk mit den verbliebenen 13 Fahrschülern allein. „Mir tut es für meine Mitarbeiter leid!“ betont er. Den ersten Lockdown habe sein Betrieb gut durchstanden, doch jetzt machten sich die massiven Einbußen bemerkbar. „Es geht an die Substanz.“
Seit 1934 ist die Fahrschule in inzwischen dritter Generation im Familienbesitz, doch so schlimm wie jetzt sei es seit dem Krieg nicht gewesen. Seit 2000 hat Otto Piesk die Fahrschulniederlassung direkt im Barntruper Zentrum – wie lange er sich dies noch erlauben kann, steht in den Sternen.

Denn: Nebenan in Niedersachsen dürfen die Fahrschulen weiter neue Fahrschüler annehmen. „Ich kann die Kunden ja auch verstehen, die abwandern“, sagt Piesk resignierend. Im ländlichen Bereich brauche man eben seinen Führerschein möglichst schnell, man könne nicht ein halbes Jahr warten, bis der Lockdown wieder gelockert werde. Doch es lasse ihn nicht kalt, wenn die Fahrschul-Konkurrenz aus Niedersachsen durch Barntrup fahre und ihm von ehemaligen Schülern aus den Autos zugewunken werde. „In Niedersachsen lachen die sich schlapp über uns.“

Anders als den Mode-Einzehandel beeinträchtigt die Situation seine Fahrschule langfristig: Denn den Führerschein macht jeder nur 1x im Leben – Schuhe dagegen kauft man sich noch jede Menge. Ist ein Fahrschüler einmal weg, kommt er nie wieder. „Wir können das nicht wieder aufholen“, so Piesk. Ein ganzer Jahrgang an Kunden ist verloren.

Auf die Frage, was er sich von der Politik wünsche, sagt Otto Piesk: “ Wenn wir Corona bekämpfen, dann müssen wir alle zumachen – oder aber wir lassen den Wirtschaftsbereich unter extrem strengen Auflagen weitermachen. Es passt nicht, dass jedes Land sein eigenes Ding macht!“ Es müsse gerecht verfahren werden, fordert er – und spricht den anderen Mitglieder des Barntruper Marketingvereins damit aus der Seele.

Ihnen allen bleibt, an die Bürger vor Ort – an Sie, liebe Leser – und ihre bewusste Entscheidung bei Einkauf & Co. zu appellieren: „Bitte vergesst uns nicht. Nutzt unseren Lieferservice oder unsere Gutscheinverkäufe – denn wir alle wollen nach dem Lockdown doch einfach wieder leben“!

 

Was können wir
Kunden tun?
Barntrups Marketingverein „Wir für Barntrup e.V.“ hat Tipps, wie Sie die Einzelhändler und Unternehmer vor Ort unterstützen können:

                    • „Wenn möglich, verzichten Sie auf Bestellungen im Web und rufen Sie stattdessen die Händler vor Ort an, was diese besorgen können.
                    • Es hilft auch, Discounterbesuche zu reduzieren und bewusst kleine Läden zu unterstützen.
                    • Für den Kontakt zum lokalen Händler gibt es z. B. Listen bei Facebook, zu welchen Zeiten und wie die Händler in Barntrup zu erreichen sind. Viele bieten einen Lieferservice, einige „Click and Collect“, wieder andere Termine nach Absprache an.
                    • Vielleicht muss man auch nicht alles sofort erwerben und wartet noch bis die Geschäfte wieder geöffnet haben. Auch das würde schon etwas helfen!“