Kalletal-Langenholzhausen (sf). 25 Jahre lang steht Haflinger Wotan auf dem Hof von Mario Winkler (60) in Langenholzhausen. Der Wallach ist das letzte Pferd einer ehemals 20 Tiere umfassenden Herde, die Winklers Vater Günter und er gemeinsam besaßen. Jetzt soll das Tier abgegeben werden, weil ein Passant dem Veterinäramt des Kreises einen Hinweis auf den nach dem Tod seines Weidekollegen im April allein stehenden Wallach gab. Das Amt reagierte, legte die Leitlinien zur Pferdehaltung zugrunde, nach denen das Herdentier Pferd die Gesellschaft von Artgenossen mindestens in Sichtweite, besser noch direkten Kontakt zur sozialen Fellpflege und für das Sicherheitsgefühl haben muss.
Mario Winkler möchte jedoch nach lebenslanger Pferdehaltung kein weiteres Pferd anschaffen. Er scheut auch die Verantwortung für ein bei ihm eingestelltes Pferd eines anderen Besitzers, weil er fürchtet, dass dieser sich möglicherweise nicht um sein Ross kümmert. Das Veterinäramt fordert von Winkler eine Lösung binnen vier Wochen.
Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Das soll nach dem Wunsch von Mario Winkler auch für sein altes Pferd gelten. „Wotan soll bis zu seinem letzten Atemzug hier auf dem Hof bleiben. Das ist mein Wunsch und ich glaube auch das Beste für das Pferd. Er kennt nichts anderes als dieses Zuhause, ist weder geritten noch gefahren und wurde auch noch nie mit einem Pferdehänger transportiert“, so fasst Mario Winkler die Geschichte von Wotan zusammen.
Im Frühjahr 2000 kam der damals knapp ein Jahr alte Wotan von einem Stutenmilchhof in Bad Oeynhausen zu Winklers auf den Hof. Günter Winkler war, wie sein Sohn, ein großer Pferdefan und hatte vor mehr als 60 Jahren das erste Pferd angeschafft – Shetlandpony Mine, das mehr als 40 Jahre alt wurde.
Mehr Ponys und Kleinpferde kamen hinzu. Die Weiden um Langenholzhausen sowie die Maschinen zur Futtergewinnung waren vorhanden. Die Familie zog mit. „Verkauf oder Reitsport war nie unser Interesse. Wir hatten einfach Freude an den Pferden“, erklärt Winkler.
Viele ihrer Tiere seien 30 Jahre oder älter geworden. Irgendwann kam der Zeitpunkt, dass nach dem Tod eines Tieres kein neues angeschafft wurde. Die Herde verkleinerte sich. 2020 schließlich kam der erste gravierende Einschnitt mit dem Tod von Vater Günter.
Sohn Mario führte die Pferdehaltung fort. Das Veterinäramt konnte nach Rückfrage der Redaktion über keine Auffälligkeiten berichten. Mario Winkler selbst erklärt: „Hier an den Weiden führen beliebte Wanderwege entlang. Einmal hat uns jemand angezeigt, nachdem wir eine sehr alte Araberstute auf der Weide haben einschläfern lassen müssen. Zwar kam der Abdecker sofort. Aber jemand sah das tote Pferd und zeigte uns beim Amt an. Die Veterinäre bestätigten jedoch, dass das Tier gerade verstorben war“, so Winkler.
Nun wurde er, wie das Amt bestätigt, wieder angezeigt mit dem Hinweis, dass der Haflinger allein steht. Dieses Mal trifft es Mario Winkler in einer emotionalen Ausnahmesituation, denn seine Mutter ist Mitte Oktober verstorben, eine Katze verstarb und Welsh Cob-Wallach Wolan, der Weidekumpel von Haffi Wotan, ging im April in den Pferdehimmel.
Nun ist der Haflingerwallach das letzte verbliebene Pferd. „Er hat von Wolan Abschied nehmen können. Nachdem das tote Pferd abtransportiert war, hat Wotan zwei Tage gewiehert, aber nun hat er sich beruhigt. Er kennt ja den Ablauf hier auf dem Hof und mich als Bezugsperson. Er frisst und ist gesund“, erklärt Winkler. Im Sommer stehe er auf der Weide. Im Winter beziehe er seinen Stall mit täglichem Auslauf.
„Das Tier befindet sich in einem guten Allgemeinzustand“, bestätigte auch das Veterinäramt, das aber die Leitlinien zur Pferdehaltung als Handlungsgrundlage nehmen muss. Diese legen die wichtigsten Parameter für Pferdehaltung fest und besagen: „Pferde sind in Gruppen lebende Tiere, für die soziale Kontakte zu Artgenossen unerlässlich sind. Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen fachlich begründbar“. Eine, die diese Leitlinien mit verfasst hat, ist Dr. Margit Zeitler-Feicht. Sie rät dem Besitzer, wenn er denn kein eigenes Pferd anschaffen möchte, zur Einstellung eines passenden Pensionspferdes möglicherweise sogar unentgeltlich gegen Mithilfe und Futtergeld.
Aber das möchte der Besitzer nicht. Pferdewirtschaftsmeister und Berufsschullehrer für Pferdewirte Thomas Stucke, der seit 2003 in Kalletal-Niedermeien einen Pensionsstall mit 30 Plätzen betreibt, sieht die Zwickmühle für Besitzer von Seniorenpferden. „Natürlich können sich alte Pferde, wenn sie körperlich fit sind, an eine neue Umgebung gewöhnen. Am einfachsten ist dies während der Weidesaison. Daher ist derzeit ein schlechter Zeitpunkt.“ Stucke betrachtet berufsbedingt die Pferdehaltung aber auch unter wirtschaftlichen Aspekten: „Angesichts der deutlich gestiegenen Tierarztkosten sowie des höheren Futter- und Pflegeaufwandes für ein altes Pferd muss man mit monatlichen Kosten von 350 bis 600 Euro für Vollpension rechnen. Es wird schwierig werden einen neuen Platz für das Tier zu finden. Pferde sind ja auch manchmal als Schlachttiere im Equidenpass gekennzeichnet. Möglicherweise wurde jetzt der letzte Gang für den Haflinger eingeläutet.“
Daran möchte Mario Winkler für das letzte Pferd der Familie überhaupt gar nicht erst denken. Er hofft immer noch auf den in den Leitlinien und vom Veterinäramt in einer Stellungnahme an die Redaktion beschriebenen „fachlich begründbaren Einzelfall“.