Kalletal-Varenholz (rr). Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatten 81 Menschen – 80 Soldaten und ein Zivilist – bei Varenholz und Veltheim im kalten Weserwasser ihr Leben verloren. Dieses Fährunglück jährt sich nun am 31. März zum 100. Mal und gab Bürgermeister Mario Hecker Anlass, auf den Bezug zur Gegenwart hinzuweisen.
„In Zeiten, in denen die ‚Zivile Verteidigung‘ bedauerlicherweise auf allen staatlichen Ebenen scheinbar zunehmend an Bedeutung gewinnen muss, möchte ich gemeinsam mit Vera Varlemann und Hans-Ulrich Krause vom Arbeitskreis Heimatgeschichte aus Varenholz an eine lippische Tragödie, die bis heute vermutlich beispiellos geblieben ist, erinnern“, sagte er. Auch damals, nach dem Diktatfrieden von Versailles, nach dem Deutschlands Heer nur 100 000 Soldaten haben durfte, waren Ausrüstung und Material unzulänglich. Es fand ein Manöver statt, an dem 167 Soldaten des 18. Infanterie-Regiments der Reichswehr aus Hameln, bestehend aus der 14., 15. und 16. Kompanie, teilnahmen, darunter viele Zeitfreiwillige.
Einen Tag vor dem Unglück wurde eine „Fliegende Brücke“, eine Fähre aus vier Pontons, die mit Holzbalken belegt waren, aufgebaut, was schon vor dem Unglück als „kriegsuntüchtig“ galt.
Nachdem vier Weserüberquerungen bereits gelaufen waren, darunter eine Schulklasse und ein Pkw, kam es bei der fünften Überquerung zu dem Unglück. 167 Soldaten in voller Ausrüstung, also in langen Mänteln, mit Stahlhelm, Gewehr und Gasmaske, standen eng aneinandergedrängt auf der Pontonfähre, als es zu einem Wassereintritt bei einem der Pontons kam. Die Meldung eines Soldaten an seinen Vorgesetzten führte zu einer Panik. Unruhe und Bewegungen verursachten eine einseitige Belastung. In der Panik kappte man die Sicherheitsleine, worauf die Pontonfähre weserabwärts trieb. Zudem fuhr ein Rettungsponton in die treibende Fähre, zu viele Soldaten stiegen in panischer Angst um in den Rettungsponton, worauf dieser kenterte. Die wenigsten konnten schwimmen. Zehn Leichen konnten sofort geborgen werden, am Abend zwei weitere. In den ersten acht Tagen wurden 21 Leichen angeschwemmt, meistens in Erder, und nach zehn Tagen waren 51 Tote geborgen. Der letzte tote Soldat wurde erst 24 Tage nach dem Unglück geborgen, eine Leiche trieb es 70 Kilometer weserabwärts bis nach Nienburg.
An dem Unglück waren auch zwei Varenholzer Bürger beteiligt, von denen sich einer, der Kaufmann Julius Rolf, schwimmend retten konnte, der andere, Kaufmann Wilhelm Brandt, ertrank in der Weser. Der lippische Landtag ordnete Landestrauer für den gesamten Freistaat Lippe an.
Von den ertrunkenen Soldaten kamen 24 aus dem engeren Heimatkreis, und in vielen Orten fanden Trauerfeiern statt. Der mutige Einsatz von Soldaten und sieben Veltheimer jungen Männern rettete 30 Soldaten das Leben, alleine der Fährmann Friedrich Huck konnte 15 Pioniere retten. Sie alle erhielten von Reichspräsident Paul von Hindenburg die Goldene Rettungsmedaille. Der letzte zivile Lebensretter starb im Jahr 1983.