Kalletal-Talle (rr). Die Veranstaltung „Zeit für Demokratie“ geriet am Donnerstag vor einer Woche im Taller Tempelhaus zu einer wahren Lehrstunde über Demokratie. Auf Einladung der Gemeinde Kalletal hatte sich mit Gesine Schwan eine hochkarätige Referentin angesagt, der man zu Kalletal sogar eine enge Verbindung unterstellen darf. Denn als Mitbegründerin, Partnerin und Präsidentin der Berlin Governance Platform war sie am Modellprojekt „Kommunale Entwicklungsbeiräte“ beteiligt, das Kalletal in den Jahren 2022/2023 realisieren konnte.
Schon vor Beginn der Veranstaltung führte sie in der heimeligen Atmosphäre des Tempelhauses angeregte Gespräche und schuf so einen persönlich-privaten Rahmen. Auch Bürgermeister Mario Hecker betonte den Wohnzimmer-Charme des 1838 erbauten damaligen Wohnhauses, das in einer hervorragenden Gemeinschaftsleistung der Dorfgemeinschaft zu einem Schmuckstück avancierte und nunmehr seiner Absicht, eine familiäre Atmosphäre schaffen, bestens entgegenkäme.
Ein ausgebuchtes Haus mit viel Publikum, das die Absicht eindrucksvoll unterstrich, durch Bürgerbeteiligung zu Meinungsbildung beizutragen und damit gegen die heutige Anonymisierung durch Online-Medien anzugehen. Zudem führte mit Radio-Lippe-Chefredakteur Markus Knoblich ein aufmerksamer und empathischer Moderator durch den Abend, der von der Taller à-Capella-Gruppe „New Shoes“ stimmungsvoll eingeleitet wurde. Ihr Song „Das Lied vom Nichtverstehen“ bot zahlreiche Diskussionsansätze zu Themen wie Corona, Ukraine und Verschwörungstheorien.
Willkommener Anlass für die hochdekorierte Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, mit Leidenschaft und Vehemenz und einer Portion Humor Position zu beziehen. „Man muss vor allem miteinander sprechen, um zu erfahren, was in dieser pluralistischen Gesellschaft an Aufgaben und Herausforderungen ansteht, die eine Lösung brauchen.“ Dafür sei beispielsweise der Kommunale Entwicklungsbeirat wichtig, um verschiedene Interessengruppen an einen Tisch zu bringen und Transparenz herzustellen. „Denn Kommunen sind die Keimzelle der Demokratie.“ Dabei sei klar, „dass man sich auch entgegen Sympathien mit anderen verständigen muss.“ Insofern begrüße sie Projekte wie die Kommunalen Entwicklungsbeiräte sowie die Teilnahme von Kalletal. Auch das Projekt „Jugend entscheidet“ der Hertie-Stiftung, in dem Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren lokalpolitische Themen erarbeiten, sei wichtig. Dessen Leiterin Judith Ramadan gab dazu weitere Informationen, und Prozessbegleiterin Dominique Pannke sowie Beirat Bernhard Sasse referierten über die Arbeit des Kommunalen Entwicklungsbeirats.
Auch das Publikum hatte Gelegenheit, sich einzuschalten. Neben viel Kritik und Lob an der gegenwärtigen Politik wies Gesine Schwan darauf hin, dass Alltagserfahrungen das beste Mittel seien, Menschen von Verschwörungstheorien abzuhalten. „Das geht nur über Emotionen, nicht über den Intellekt“, sagte sie, „denn diese Menschen müssen die Welt anders erfahren, und wir müssen ihnen Appetit auf etwas Besseres machen.“ Mit viel Temperament und sehr eindringlich bestritt die 81-Jährige den Abend, der sich mit vielen weiteren Gesprächen in lockerem Rahmen noch lange fortsetzte.